Nachschieben von Kündigungsgründen
Verdachtskündigung
Der Arbeitgeber kann Gründe, die er bei Ausspruch bzw. Zugang der Kündigung nicht kennt, im Kündigunsschutzprozess nachschieben; so das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Urteil vom 18.06.2015 – 2 AZR 256/14 (Vorinstanz LAG Bremen)
Sachverhalt und Entscheidung:
Im vom BAG entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wegen einer (Kartell-)Straftat bzw. des Verdachts einer solchen Straftat gekündigt. Der Arbeitnehmer erhob hiergen die Kündigungsschutzklage. Zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer war streitig, ob der klagende Arbeitnehmerals Leiter eines Verkaufsbüros an Preisabsprachen mit Wettbewerbern beteiligt war. Die Beklagte hörte den Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses r an und sprach die Kündigung am 09.03.2011 aus. Nachdem das Bundeskartellamt in einem Bußgeldbescheid den klagenden Arbeitnhmer als mutmaßlichen Beteiligten an wettbewerbswidrigen Absprachen namentlich nannte, hörte die beklagte Arbeitgberein den Arbeitnehmerzu diesem Vorwurf an. Ferner hörte sie den vorhandenen Betriebsrat an und führte diesen neuen Sachverhalt nach Anhörung des Betriebsrats in den Rechtsstreit ein. Zusätzlich sprach sie eine weitere Kündigung aus, die Gegenstand einer anderweitigen Kündigungsschutzklage ist..
Das BAG führt aus, dass eine Verdachtskündigung begründet sein könnte und auch als ordentliche Kündigung gerechtfertigt sein könnte, wenn Tatsachen vorlägen, die geeignet seien, die Fortsetzung des für das Arbeitsverhältnis erforderlichen Vertrauens zu zerstören und der Arbeitgeber zumutbare Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hätte.
Dabei seien auch die nachgeschobenen Kündigungsgründe zu beachten Für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung könne es auch auf solche Umstände ankommen, die dem Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt noch nicht bekannt wären, aber später bekannt würden. Dies gelte jedenfalls, wenn sie bei Kündigungszugang objektiv schon gegeben waren. Die Gründe könnten auch nachgeschoben werden, wenn sie einen neuen, weiteren Kündigungsvorwurf begründen könnten. Maßgeblich sei der Wissensstand des Kündigungsberechtigten. Bei einer juristischen Person sei dies grundsätzlich das gesetzlich oder kraft Satzung für die Kündigung zuständige Organ.
Anmerkung:
Dieser Kündigungsfall veranschaulicht die Schwierigkeiten der Ausübung eventueller Kündigungsrechte, die sich im Falle umfangreicher interner Ermittlungen und parallel dazu verlaufender behördlicher Ermittlungen – wie hier des Bundeskartellamtes und der Staatsanwaltschaft – ergeben.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stellt klar, dass Tatsachen, die vor Ausspruch der ersten Kündigung bereits vorlagen, im laufenden Kündigungsschutzprozess nachträglich vorgebracht werden können, wenn sie dem kündigungsberechtigten Organ erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt wurden.
Der Arbeitnehmer muss allerdings auch zu diesem neuen Verdacht angehört werden, damit eine Kündigung, die auf den Verdacht einer Straftat gestützt wird, wirksam ist. Ferner muss die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß durchgeführt werden. Diese zwei formalen Hürden sind in jedem Fall zu beachten bevor möglicherweise parallel zu einer neuen Kündigung Kündigungsgründe im Kündigungsschutzprozess nachgeschoben werden. Dies hat zur Folge, dass der Betriebsrat über dieselben Tatsachen anzuhören ist, um zwei verschiedene Rechtsfolgen daran zu knüpfen: Zur Begründung einer eventuellen neuen Kündigung und zur Verwertung derselben Gründe als „nachgeschobene“ Gründe in einem laufenden Kündigungsschutzverfahren.